Reisetagebuch

29 November 2007

die insel



eine aussergewöhnliche, etwas bizarre landschaft, in die wir da geraten sind. eine welt aus steinen. es gibt ganz normale kleine runde kiesel wie sie jeder kennt, und dann aber grössere steine, in allen grössen bis hin zu haushohen, berggrossen, von kraftvollem wasser rundgeformte steine, die alle so aufeinander geschichtet sind und formationen ergeben, dass man denkt, riesen haben diese welt gebaut. auf einem riesenhaft grossen langen etwas abfallenden stein, balanciert ein kugelförmiger hausgrosser stein und ich kann es nicht glauben, dass der nicht einfach wegrollt. es sieht zum teil so aus, als würde hier die schwerkraft ausgetrickst werden.
in der nähe von hampi, etwa eine stunde zu fuss liegt die insel, ein hügel, übersäht mit steinen aller grössen und umgeben von wasser. flüsse, die in der regenzeit viele meter ansteigen, umspülen die grüne oase. der wasserverlauf ist sehr spanndend, das wasser findet sich seinen weg mal schnell mal langsam fliessend durch die steinlandschaft, formt sie, umspielt sie, bildet tausenderlei unterschiedliche pools, versteckte becken, wasserfälle, höhlen, tunnel und unterirdische flüsse. das wasser erschafft wunderschöne formen, vertiefungen, muster, an und abschwellende linien in den steinen, wasserzeichnung in stein, das wasser und die steine gehören hier so sehr zusammen, als wären sie eins.
hierher auf die insel können menschen kommen, um einzelretreats zu machen. im umkreis von zwei häusern, in den horst und freunde mehr oder weniger beständig wohnen, gibt es viele höhlen zwischen den felsen, die geräumt, geebnet und bewohnbar gemacht wurden (das heisst matte am boden, moskitonetz). zur zeit ist ein paar aus frankreich und eine frau aus italien da, denen das essen zur höhle gebracht wird und die ich nur selten mal von weitem sehe. wir sind nicht hergekommen, um ein retreat zu machen, benoit hat viel am computer zu tun, wofür er sich eine kleine, palmenblätterbedeckte hütte gebaut hat, auf dem einzigen felsen hier, auf dem er via mobile phone internetverbindung hat. wir haben unser lager auf dem dach eines der kleinen häuser aufgeschlagen, im vergleich zu den höhlen nicht ebenerdig und absolut luxuriös, mit einem wasserhahn hinterm haus zum duschen... ich strolche herum, klettere den wasserlauf entlang, bade mal hier, mal da, lese, mach yoga, geniesse jeden tag hier, den wind auf der haut, den sonnenaufgang in einer weiten landschaft, den blütenduft, die ganze belebte welt hier. es gibt geckos, ganz kleine, so klein wie ein fingerglied, und ganz grosse, warane, 1 - 2 meter lange echsenwesen, die zwar sehr scheu und versteckt sind, aber ich konnte schon einen, der sich alleine fühlte, beobachten. affenhorden ziehen durch die gegend, die überall vertrieben werden, mit steinschleudern und lauten rufen, es gibt die typisch indischen eichhörnchen, die superschnell herumwuseln und wohl ein bisschen kurzsichtig manchmal direkt auf einen zurennen. das gezwitscher der vögel ist überschwenglich, ich beobachte von dem nach allen seiten offenen dach am liebsten die ganz kleinen, die meisterhaft fliegen und im flug auf der stelle mit ihrem langen schnabel nektar aus den blüten trinken. dann gibt es noch tauben, gurrende, sanfte, seidige wesen, wasservögel auf langen beinen und aufgeregte felshühner. und natürlich die insekten, brummende, stechende, springende... ameisen, die bis in meine cremetube krabbeln, tausendfüssler, schmetterlinge... spuren von schlangen hat lokesh, einer der hier arbeitenden indern, mir gezeigt, bären und leoparden solls auch geben. auf der zum projekt gehörenden farm wächst reis, gemüse, papaya, passionsfrucht, feigen, bananen und im sommer mangos, verstreut auf der insel gibt es neembäume, sandelbäume, eucalyptus, kokospalmen, bambus... und tausenderlei mir unbekanntes.

es ist wunderschön. nachts liege ich auf einem noch vom tag warmen stein und schaue in den weiten, weiten sternenhimmel.
23:40:29 - ulrika -

18 November 2007

Anandwan - Forest of Joy

forest of joy ist wirklich der richtige name fuer diesen ort. gegruendet 1946 von baba amte ist anandwan heute eine community von 5000 menschen, leprakranken und geheilten, blinden, tauben, stummen menschen und waisen. es ist das groesste projekt fuer menschen mit besonderen herausforderungen weltweit und die menschen kommen aus ganz indien hierher, werden behandelt, integriert, viele bleiben. in den verschiedenen krankenhaeusern behandeln ehemalige leprakranke die neuankommenden, die von zu hause vertrieben werden, gemieden als aussaetzige. diese menschen sind die einsamen, verwundeten, verletzlichen, die verlorenen... (the lonely, vulnerable, wounded, abandoned, the last, the least, the lost)
hier angekommen wird nicht nur ihre krankheit geheilt, sondern jeder gewinnt auch den verlorenen respekt fuer sich wieder, die wuerde und das gluecklichsein.
die community funktioniert in sich autark, krankenhaeuser, schulen, werkstaetten, die alles herstellen, was gebraucht wird, farmen, die alles anbauen, was gegessen wird. anandwan kann die welt viel lehren uebers menschlichsein, ueber das soziale gewissen einer gesellschaft. die menschen leben hier zusammen im geist des teilens und der harmonie. alte menschen werden in familien integriert, freundschaft und zusammenhalt wird regelrecht zelebriert und dieser freudige spirit sprengt die alten indischen grenzen von kasten und klassen.
dieser ort ist wirklich voller freude, die menschen sind so offen und wunderbar. die stummen sind die talentiertesten im kommunizieren, die blinden erkennen die wirklichkeit...



02:51:26 - ulrika -

04 November 2007

bombay, vierter tag in indien

im südlichen zipfel von bombay, der dreizehn komma fünf millionen stadt, ist colaba, der stadtteil mit den hotels und restaurants, den touristen und den indern, die von den geschäften mit den touristen leben. wir sind im seashore hotel, dem vierten stockwerk eines hohen hauses, in dem auf jeder etage ein anderes kleines schäbiges hotel ist, nur ein paar schritte vom meer entfernt. ich spüre nicht viel vom meer, das träge und trüb an die kaimauern schwappt. der eindruck dieser riesigen stadt überdeckt sogar den des ozeans.
wir waren in den paar ersten tagen schon viel zu viel unterwegs. haben uns sogar überreden lassen, bei bollywooddreharbeiten statisten zu spielen... das drehen war aufschlussreich, ziemlich schräg und vorallem anstrengend - ein dreizehn stunden arbeitstag für 50 rupees (10 euro), ein blick auf die stars und drei mahlzeiten.
als ich das letzte mal in indien ankam, fühlte ich mich euphorisch, wie ein fisch im wasser, ganz in meinem element. selbst gestank, lärm und dreck einer solchen großstadt hat mich nicht beeindrucken können, ich fand alles herrlich indisch, lebendig, wirklich. dieses mal sind die ersten tage ein kampf um frische luft, ich bin erschöpft und entmutigt. wer hätte das gedacht: ich trau mich fast nicht auf die strasse! und das in indien, unserer zweiten hosentasche... es nervt mich, dass ich da nur männer sehe, wenn ich aus dem fenster auf die strasse schau. naja, ich geh dann troztdem los, die ersten meter auf unsicheren beinen, ein bisschen schwankend. dann geht es besser und ich komme mir vor wie eine kriegerin im dschungel. die nächstliegenden strassen kenne ich nun schon, und die händler kennen mich, vorhin wurde ich mit "hello miss germany!" begrüßt. sie haben kleine zusammengebastelte stände vor den schicken teuren läden und rufen, wenn jemand vorbeikommt: hello, how are you? water? toilettpaper? zigarettes? bidis?... nach ein paar tagen ausruhen geht es besser, wir fahren auch bald raus aus der stadt, sobald benoit seine mobile internetverbindung organisiert hat.
was unverkennbar ist: die westliche welt ist hier angekommen. bombay will modern sein. der westen mit all seinem material wird verehrt vor allem von jungen leuten, die hautenge klamotten tragen dazu mobile und mp3 player in den händen und die untereinander flottes englisch reden. je moderner, desto älter und ausgetragener ist wohl die eigene sprache hindi oder eine landessprache. in den strassen gibt es pizzaservice, coffeeshops (even drink here or take away?) und fastfoodrestaurants, das internationale einheitsmodell, das in jeder großstadt der erde gleich aussieht. das ist die "no culture-culture" des 21. jahrhunderts. es muss gar nicht eine der großen ketten sein, einfach ein neuer laden, vorbei am türaufhalter in uniform, hinter großen glasscheiben, air condition, braue sofas, braun gepolsterte stühle, passende tischchen, eine bar... die summer aller teile: sauber, verhalten, ausdruckslos, neutral, ein bißchen auf chic, kühles design, aber leer, nichts deutet darauf hin, dass das hier indien ist, außer die nicht ganz zu ende geputzte oberfläche eines spiegeltischs.
03:13:30 - ulrika -