Reisetagebuch

26 December 2004

flutwellen

heute morgen haben wir die kraefte der natur, genauer des ozeans kennengelernt. da war ein erdbeben in indonesien, das wissen wir jetzt, stunden spaeter, und hier kam eine flutwelle angerauscht. ich lag auf dem balkon unserer strandhuette in shashangasana, und hoere wie das meer immer lauter und lauter wird. ich wundere mich ueber wahrnehmungsphaenomene, erst als ich leute rufen und schreien hoere, steh ich auf und sehe, das wellen ueber wellen immer naeher kommen. ich ueberlege eine viertelsekunde lang, ob ich irgendwas retten sollte von unseren sachen, entscheide dann aber, nur mich selbst zu retten, klettere die leiter hinunter, kann gerade noch meine schuhe greifen, bevor die wellen sie forttragen. dann bin ich gerannt, richtung ausgang, platsch platsch durch das wasser,das so schnell anstieg, in sekunden bis an die oberschenkel, so dass ich gar nicht mehr rennen konnte. die inder, die fuers wochenende nach auroville und in den strandhuettenplatz gekommen waren, waren so panisch, haben geschrien wie verrueckt. ich hatte auch angst, der gesamte ozean stieg schliesslich an in einer irren geschwindigkeit,aber trotzdem war ich klar und ruhig. auf dem ausfahrtsplatz habe ich dann gemerkt, dass es nicht weiter ansteigt, habe versucht die indischen frauen zu beruhigen, bin hin und her gewatet. es war richtig ein schock. benoit kam dann gleich, er war kurz vorher mit dem motorrad losgefahren. nachdem wir gemerkt haben, dass das wasser zurueckgeht und dass unsere sachen hoch genug gelagert sind, sind wir zu unseren freunden gefahren, die im beachresort "waves"(wie das passt) nur halb so hohe huetten bewohnen. dort mussten wir auch fast schwimmen, um zu ihnen zu kommen, ihre huetten waren bis auf eine alle von den stelzen gespuelt, die sachen hunderte meter verstreut oder irgendwo im meer verloren. die inder, die rund herum am strand leben, beobachteten das wasser und alle fuenfzehn minuten ging das geschrei von vorn los "the water comes back!!!", alle rannten davon, aber es kam nicht nochmal so schlimm. wir halfen allen, die sachen wegzutragen, hoerten uns die geschichten der andern an, zwei waren doch tatsaechlich auf dem surfbrett als es losging und freuten sich ueber die tollen wellen, bis sie merkten, das irgendwas nicht stimmt. dorry hatte einen ungluecklichen zusammenstoss mit kakteenteilen, die angespuelt kamen und war voller stacheln. kaum einer hatte noch schuhe, sidd sogar seine bauchtasche mit pass, visacard und allem wichtigen verloren, alle sachen nass und stinkig.
jetzt am abend, der strom funktioniert wieder, die ersten verlaesslichen nachrichten treffen ein, erfahren wir, das viele inder ums leben gekommen sind, fischermen leben direkt am strand und oft koennen sie nicht schwimmen. in sri lanka, thailand, andaman islands...ist es eine katastrophe.
ab heute betrachte ich den ozean wohl nicht mehr in so romantischer stimmung. dass das meer einfach so so ansteigen kann ist erschreckend, und das war noch gar nichts gegen eine richtige tsunami. da hat der kleine mensch keine chance.
aber uns gehts allen gut, wir schlafen heut nacht woanders, ohne meeresrauschen, ein.
08:46:24 - ulrika -

25 December 2004

auroville

schon eine weile geniesse ich das paradies von auroville, der global comunity, die sich 1968 hier in suedindien gegruendet hat. menschen von ueberall leben hier, die meisten kommen aus europa, 2000 aurovillianer und 700 davon sind kinder. auroville erstreckt sich ueber viele kilometer, es ist sehr gruen, blueht und waechst, vor 40 jahren war hier noch kein wald, alles ist angepflanzt, wird gehegt und gepflegt. es gibt verschiedene kleine doerfer in dem gebiet, auch indische, es gibt oekologische farmen, wunderbares essen, baeckereien, die bessere schokocroissants machen als die in frankreich, es gibt schulen, auch kostenfreie fuer die indischen kinder (die klassenzimmer sind gebaeude, die aussehen wir gelandete ufos zwischen palmen), kindergarten, spiel und spass am strand, bibliothek, healing center, kulturelle plaetze, solarenergy, baumhaeuser, wasseraufbereitung, es wird viel hergestellt hier in werkstaetten, kleidung, buecher, lebensmittel... was alles, werde ich demnaechst erfahren auf einer introductiontour.
ich kenne auch erst wenig den hintergrund des ganzen, so wie ich es verstehe, geht es um eine ganzheitliche vision des zusammenlebens, um menschen, die bewusst leben wollen, auf land, das niemandem gehoert.
die entwuerfe von auroville sehen aus wie eine spirale oder galaxie, in der mitte ist ein grosser park und in der exakten mitte waechst ein banyantree, ein baum, der viele nebenstaemme entwickelt im laufe seines lebens. gleich daneben befindet sich die sogenannte seele von auroville, der matrimandir, der tempel. eine grosse goldene kugel, in deren oberem teil ein raum fuer meditation ist. auroville ist nicht speziell religioes, im matrimandir ist raum und stille, um konzentration zu lernen.


banyantree und matrimandir

flowers everywhere

wir leben zusammen mit geckos in einer bambushuette auf stelzen am strand, trinken frischgepressten karottensaft an der strandbar zum fruehstueck, duesen herum auf einem kleinen motorad und schenken uns gegenseitig zu weihnachten thailaendische ganzkoerpermassagen von dorry, deren haende einen wirklich schweben lassen. immer mehr mitglieder unserer opendharma meditationfamily kommen hier an, wir treffen viele freunde, essen zusammen, singen und lachen und stuerzen uns in die riesigen wellen der indischen ostkueste.
09:08:53 - ulrika -

17 December 2004

i am not my body...

Es geht schon besser, aber immernoch ist mein koerper mittelpunkt meiner aufmerksamkeit. Es ist schon interessant, was alles zu spueren ist.
Das scharfe essen brennt in den gedaermen, die sonne und hitze blendet die augen und trocknet sie aus, mein kopf ist immernoch am pulsieren.
07:17:09 - ulrika -

tiruvanamalai

Angekommen im wirkungsfeld des berges arunachala

Gleich habe ich ein paar gute freunde getroffen, dorry und chris, genau die beiden waren die letzten, von denen ich mich im april in dharamsala verabschiedet habe. dorry fragt mich, was aus meinen bellyproblems geworden ist und ich erzaehle ihr von dem wurm, der mir aus der kacke gewinkt hat. Sie lacht und sagt, ging ihr genauso, ihrer war sooo gross. Und sie zeigt mit ihren haenden ungefaehr 15 zentimeter.

Fuer meinen koerper war der klimazonenwechsel wohl etwas zu schnell, oder der kalte wind im zug in der nacht, jedenfalls bin ich erkaeltet, es haut mich richtig um, mir platzt der kopf, in meinem hals brennt ein feuer.
07:10:23 - ulrika -

im zug

Waehrend des zugfahrens ist viel zeit zum schreiben. Von bombay nach tiruvanamalai in tamil nadu ist eine relativ kurze fahrt – 29 stunden.
Durch staedte, doerfer, felder, plantagen, durch wildnis, ueber bruecken.
Der zug ist lang, ein schweres eisenmonster, das oft und gerne zur begruessung bruellt oder als zeichen der abfahrt, dass alle wieder aufspringen, die waehrend des haltes in einer station wasser aufgefuellt oder was zu essen gekauft haben.
Dieser Chennai – Express ist ein langsamer zug, das heisst er ist unbeliebt und deswegen haben wir ueberhaupt in so kurzer zeit noch ein ticket kriegen koennen. Es ist nicht ueberfuellt, nicht mal voll, was sehr angenehm ist. Nachts schlafen wir auch pritschen, zwei oder drei uebereinander. Es ist kalt, und wenn ich aufwache, denke ich, der zug entgleist, es ist so laut, fuehlt sich so rasend schnell und gar nicht „gleismaessig“ an. Jedesmal bin ich mir sicher, es kann nicht gutgehn, entspanne mich und sag goodby.
Alle schlafen noch, da flitzen im morgengrauen die ersten chaiwhallas durch den zug. Sie fahren ein stueck mit, eine stange plastetassen in der einen und einen metallpot voll tee in der anderen hand. Mit lauten etwas gepressten stimmen rufen sie in ganz eigenem singsang und rhythmus ...chai... chai.... chai...oder …koffi...neskoffi..
Zur fruehstueckszeit kurz nach sonnenaufgang kommt dosa dazu oder bredomlette oder was auch immer. Waehrend der ganzen fahrt laufen andauernd menschen hin und her, sie wechseln sich ab, decken ein riesenangebot ab. Es gibt nuesse, fruechte, gebaeck, popcorn, samosas (veg. Teigtaschen), wasser, lassi im plastebeutel, cold drinks, orangensaft (...fruiti...fruiti...mit stark gerolltem r ). An unseren sitzplaetzen kommen menschen im halbminutentakt vorbei, wollen schuhe putzen, messer schaerfen, zeitungen, sogar buecher oder irgendwelches spielzeug verkaufen, kinder spielen goettertheater, meist verkleidet als hanuman, der affengott, krueppel machen ein paar rupies, indem sie den boden saeubern,und bettelnde kinder sind sehr hartnaeckig.
Das skurielste sind die transvestiten. Maenner als frauen verkleidet, die umhergehen, laut in die haende klatschen und den maennern grob ins gesicht fassen. Einer der mitreisenden hat ehrfuerchtig zehn rupies gegeben, das sind fast 10 cent und meinte, es wuerde ihm sonst unglueck bringen.
So rattert der zug durch die landschaften, es ist immernoch so viel zeit, um die nase aus dem fenster in den wind zu halten, die mitreisenden kennenzulernen und zu doesen.
07:09:01 - ulrika -

bombay

Es ist wie ein schlag, absolut erbarmungslos, ein stich im herzen, der anblick dieser armut, das elend. Auf dem vorplatz der Victoria Railwaystation, eines der praechtigsten gebaeude aus der britischen zeit von bomay, stroemen hunderte menschen hin und her, unzaehlige leiber, eine einziger strom leben. Und dazwischen liegen einzelne menschen, krueppel und alte auf dem boden, halb nackt, in lumpen, staubig, zerzaust, das gesicht im dreck, nur die haende den vorbeieilenden entgegengestreckt. Frauen mit verfilzten haaren und entbloessten bruesten, duerr und krank.
Sie haben einfach gar nichts und viele wohl auch den verstand verloren in einer welt, die nichts fuer sie uebrig hat. Es schockiert mich so, es sind menschen, die leben, ueberleben, verleben, wie wir uns das im fetten europa nicht vorstellen koennen.
Fast schon gestritten mit benoit, der fragt, was ist denn die wahrheit darin? Woher weiss denn ich, dass diese armut nicht das groesste geschenk ist? Woher weiss ich, was gut ist fuer diese menschen. Warum es so ist...
Fragen wie diese hoeren nicht auf in indien. Mitgefuehl und hilflosigkeit auch nicht.


07:04:57 - ulrika -

09 December 2004

india!!!

heute morgen in dubai hab ich noch gedacht, wenn ich koennte, ich wuerde gleich ins kuschlig ruhige deutschland nach hause kommen. ich konnte nicht mehr verstehen, wie ich auf die idee gekommen bin, wieder in dieses verrueckte chaos zurueck zu wollen. in diesen hexenkessel, in den gestank, die hitze, den schweiss, die anstrengung, in die vielen blicke neugieriger, in die fremde.
doch kaum gelandet, fuehle ich mich wie zu hause angekommen, in bombay unter zig millionen menschen, nah dem leben, inmitten des lebens, das hier so intensiv ist.
namaste!


06:34:02 - ulrika -

07 December 2004

hier sind ein paar bilder, mehr sind bei benoit zu sehen.
www.benoitmartin.com/photos und dann bei "tome III"







10:07:37 - ulrika -

abu dhabi - eine kuenstliche welt irgendwie in den sand gesetzt

arabisch, das bedeutet hier nicht so viel maerchenvolles, wie ich es mir vorstellte, oasen in der wueste oder kalifen in palaesten. die welt der united Arabian emirates ist modern, kuenstlich, clean und reich.
von oben aus dem flugzeug sahen die staedte aus wie microchips, strassen schnurgerade wie mit dem lineal gezogen, komplett beleuchtet, inseln in der wueste.
unten angekommen, erst in dubai dann in abu dhabi wundere ich mich.
die skylines dieser staedte sind unglaublich. wolkenkratzer der arabischen art, irgendwie doch wie palaeste, schimmernd und kitschig. und vor allem riesig, und auf den baustellen fuer noch groessere bauprojekte verschwinden tausende arbeiter wie winzige ameisen. sie sind so verrueckt hier, sie wollen sogar eine unterwassercity bauen.

wir sind hier bei terry, einer jungen frau aus Canada, die in einem college dieser stadt versucht, das englisch junger und unmotivierter emiratis zu verbessern. benoit und sie sind mitglied bei ~servas~, einer organisation, die reisende und sesshafte miteinander im sinne der gastfreundschaft verbindet. es gibt kleine heftchen, in denen stehen adressen von menschen, in diesem land ist es nur terry, die bereit sind reisende aufzunehmen.
es ist sehr lustig mit ihr. sie stellte uns auch eine aeltere lehrerkollegin vor, die ihr ganzes leben in verschiedenen laendern unterrichtet hat und uns mit informationen ueberschuettete.
terry wohnt in einem departmenthouse mit hunderten wohnungen. der eingangsbereich ist wie der eines europaeischen luxushotels, die flure aus marmor, kuehl und glatt, es gibt einen pool auf dem dach und einen fitnessraum fuer alle bewohner und niemand nutzt es.
wenn ich aus den fenstern ihres schlafzimmers schaue, das nun wir fuer ein paar tage bewohnen duerfen, weiss ich nicht so recht wo ich bin.
moderne arabische welt, disneyland, las vegas, da sieht man einen riesigen palast mit einer grossen und vielen kleinen kuppeln, letztere leuchten in der nacht in sich immer aendernden farben. das ist das neue hotel, gebaut wegen einer einzigen konferenz und nicht rechtzeitig fertig. man hoert den laerm der strasse, es gibt so viele autos und alle sind neu und die maenner fahren mit quietschenden reifen, they dont care. reichtum, der sich selbst berreichert an der armut anderer. die einfachen arbeiter, die das land fuer einen dollar die stunde braucht, kommen aus pakistan, indien, sri lanka, sie fahren taxis, die sie mieten, das kostet vierzig fahrten am tag und taxifahren ist billig hier. sie haben meist nicht einmal ein zimmer und schlafen im auto. fuer sie ist der monstroese reichtum hier wohl ein hohn, trotzdem sind sie in ihren heimatdoerfern die koenige.
in der gesellschaft herrscht eine strenge hierarchie. die emiratis (20% der bevoelkerung) an der spitze tragen weisse gewaender, die bis zu den fuessen reichen und eine weisse kappe oder turban oder tuch auf dem kopf. ihre frauen sind verschleiert, sind komplett begraben unter dem schwarzen stoff, man sieht nur ihre haende und augen. es gibt viele varianten dieser kleidung, soviel es menschen aus anderen arabischen laendern gibt mit Allah im herzen. die regeln dieser gesellschaft kann ich nicht verstehen und die frauenfeindliche atmosphaere kaum aushalten. ich darf keinem emirati die hand zur begruessung reichen, er wuerde sie nicht annehmen oder nur mit einem tuch ueber seiner hand mich beruehren. in der strasse oder restaurants laechle ich mich nur mit den einfachen arbeitern aus anderswo an, fuer die einheimischen streng glaeubigen habe ich den blick gesenkt zu halten. manchmal habe ich lust, benoit vor aller augen an den hintern zu fassen oder aehnliches, ich rebelliere.
fuer 24 stunden hatten wir uns ein auto ausgeliehen und sind nach al ain, eine andere kleinere oase gefahren, auf den einzigen hohen berg dieses landes und nach oman, das nachbarland. dort sah ich frauen, die hatten sogar eine art maske vor dem gesicht, ueber den augen und vor dem mund. ich kanns nicht verstehen, habe aber auch keine chance, eine der frauen dazu zu befragen. sie sind ja nicht allein ohne maennliche begleitung auf der strasse.
in oman sind wir nachts raus aus der stadt gefahren, um im sand und in unseren schlafsaecken zu schlafen. wir hatten von einem schoenen tal gehoert zwischen ein paar huegeln, wo man fossilien finden kann, weil irgendwann hier mal das meer war. kaum weg von der strasse sind wir prompt im sand steckengeblieben, was einerseits ganz lustig und fuer pfadfinder eine herausforderung war, andererseits aber eine katastrophe, weil unsere versicherung in oman nicht gueltig ist. nach mehreren versuchen, die uns jeweils ein paar meter in die eine oder andere richtung brachten, gaben wir es auf und versuchten zu schlafen. in der nacht wachten wir auf von in dem wuestental herumpreschenden autos, vorallem benoit hatte keine gute nacht, zu viele sorgen. am naechsten morgen hatten wir allerdings nicht mal genug zeit um zu fruehstuecken, da kam schon das erste four by four (vierradantrieb) mit ein paar enthusiastischen maennern, um uns zu befreien. trotz des laecherlichen strickes, dem ich das niemals zugetraut haette, holten sie das auto aus dem sand, schimpften noch ein bisschen und wir waren gluecklich.
und wir sind gluecklich in zwei tagen nach indien auszufliegen.



09:53:34 - ulrika -