Reisetagebuch

20 April 2009

revolutionäres aus den alpen

es gibt keine hausnummer, das haus heisst le clou de rive, der nagel am ufer. was auch immer das bedeuten soll...
der ausblick aus dem schlafzimmerfenster nach hinten zeigt ansteigende wiesen, dann nadelbaumwälder, dann steile felsen mit ein paar flecken von schnee. nach vorn heraus ist eine kleine strasse ohne viel verkehr, andere häuser, unter anderem das ganz neue haus von fred, der freundlicherweise erlaubt hat, dass wir uns auf seiner veranda mit unseren ordinateurs portables (laptop auf französisch) in sein wireless internet einklinken. am nördlichen rand des dorfs thollon les mesises kann man dann den genfer see aus fast tausend metern höhe überblicken.
hier oben beginnt gerade der frühling, dort unten am see ist er schon fast sommerlich.

im wohnzimmer steht ein kleiner holzofen, ein neues modell, dicht und sauber, mit einem fenster zum in die flammen schauen. draussen vor der tür habe ich heute ein grossen haufen holzscheite aufgestapelt, wir mussten welche kaufen, da die reserven aufgebraucht waren. siebzig euro für einen kubikmeter. es ist nicht so leicht in dieser westlichen welt anzukommen, in der ohne geld so gar nichts funktioniert. passend zu meinem zustand, arm an geld zu sein, und reich an glück, freiheit, träumen und kreativen möglichkeiten, haben wir vor kurzem einen film gesehen, einen gut recherchiertern und aufklärenden film, der die grundfesten einiger weltanschauungen zu erschüttern in der lage ist. ich will ihn weiterempfehlen an die, die verstehen wollen warum wir so leben wie wir leben. es ist ganz schön amerikanisch-dramatisch im ton, aber ich hoffe, dass schmälert nicht den guten beitrag. wie all diese filme ist auch dieser nicht perfekt, aber hilfreich im verstehen von zusammenhängen und voll an weltverbesserungspotenzial....)

zeitgeist addendum, der zweite film der zeitgeistbewegung.
film im internet: www.zeitgeistmovie.com
der erste film ist auch interessant, aber der zweite scheint mir wichtiger. für den ersten gibts deutsche untertitel, für den zweiten weiss ich nicht. aber alles frei im internet mit der bitte, es weiter zu kopieren.
(übrigens hat paulo coelho jetzt etliche seiner bücher zum frei herunterladen ins internet gestellt. passend zu den pirate bay gerichtsverhandlungen und urteilen, er hat auch klar ausgedrückt, dass er pirate bay (filesharing on the internet) damit unterstützt.)

06:45:03 - ulrika -

11 April 2009

die letzten tage in indien










ich habe drei wochen stille und wilde natur in sattal, in den ausläufern des himalaya, so sehr genossen, dass ich beinahe geblieben wäre. dieser ort ist einer der schönsten, die ich auf meinen vielen reisen bisher kennengelernt habe. abgelegen in totaler stille liegt sattal zwischen bergen und seen, zwischen sanfter erde und weitem himmel. das land ist weich trotz vieler felsen und grosser steine, da es bedeckt ist von einem dichten teppich an kiefernnadeln, der wie wasser zwischen den steinen zu fliessen scheint.
zu beginn was es kalt und oft neblig, regnete und gewitterte viel. dann wurde es wärmer und am ende heiss (so wie es irgendwie in indien überall und zu jeder zeit im winter ist, es wird tag für tag wärmer). ich habe flughunde und verschiedenen affenarten beobachtet, unglaublich farbenprächtige vögel gesehen und nach schlangen, leoparden und skorpionen ausschau gehalten. es ist wild dort und der mensch gast.
während des ersten retreats habe ich noch yoga unterrichtet und massiert, war dann aber während des zweiten ganz und gar still. es ist schwer, über die erfahrung während eines retreats zu schreiben, worte zu finden für etwas, das klar ausserhalb der reichweite von worten und verstand liegt. wie glück, freude und innere ruhe und frieden sich anfühlen, kann jeder im eigenen bauch, herz und kopf finden.

to know the way
is to know oneself

to know oneself
is to forget oneself

to forget oneself
is to know the heart of everything

ein kleines beispiel kann ich noch geben, vorallem für diejenigen, die immer ratlos den kopf schütteln und nicht verstehen, was ich daran finde. warum meditieren, warum zum beispiel innere regungen, gefühle und gedanken beobachten? der buddha lehrt, dass viel im körper als empfindung beginnt und das dann psycho-mentale prozesse in gang kommen auf grund dieser empfindung, die wir dann zum beispiel als gefühle reaktiv erleben. wenn man also in der lage wäre, diesen vorgang zu beobachten und nicht nur unter dem eindruck von gefühlen und also von ihnen in gewissem sinne gefangen zu sein, wäre man weniger identifiziert mit dem gefühl, weniger reaktiv, freier, gelassener. das alles kannte ich theoretisch und dachte immer nur, na schön wärs! lange jahre fühle ich nun hinein in zum beispiel ärger; ich weiss dass er heiss und hart und scharf in der brust sitzt, ich weiss, dass wenn ärgerlich meine schultern verkrampfen und der atem schneller ist, aber das hilft noch nichts. nun habe ich folgendes erlebt. am ende einer 45 minütigen meditation, in der ich im schneidersitz gesessen und gewahrsein, aufmerksamkeit, präsenz praktiziert habe, erklingt ein gong. mein nachbar, derek, der neben mir auf einer luftmatraze gelegen hat, springt auf, rollt die matraze so zusammen, dass der verschluss, aus dem die luft laut herauszischt, direkt auf mich gerichtet ist. (in der meditationshalle versucht man eigentlich, so leise wie möglich zu sein)
und so habe ich es erlebt und zwar in vollem bewusstsein, dass ich es gerade erlebe, also als beobachter: erst hitze und schärfe in der brust, dann der klare gedanke -irritation- (ohne im geringsten irritiert zu sein, den gedanken nicht nur denkend, ihn auch sehend), dann das wissen, dass ich normalerweise über diesen vorfall sehr irritiert wäre und ärgerlich und dann belustigung über diese ganzen automatisch dahinrennenden, so lang geübten gedankenketten (kann er das nicht draussen machen..., kann er das nicht etwas später machen..., sieht er nicht, dass ich hier sitze...blablabla, das ganze, als ob sich die welt nur um mich dreht blabla). dieses kleine geschehniss sieht vielleicht nach nichts aus, und es ist ja auch ein kleines geschehniss. ich habe es allerdings als etwas grossartiges erlebt, als eine zum ersten mal erlebte freiheit und bewusstheit von automtischen prozessen, ein moment, als eine kraft der aufmerksamkeit.

hier in delhi bin ich in paharganj, dem touriviertel, das laut und anstrengend ist, aber auch praktisch, weil alles da ist, hotels, restaurants, geschenkekaufmöglichkeiten. von dem hotel, in dem mein zimmer im vierten stock liegt, kann ich auf einen kleinen platz runterschauen. hier finde ich die ganze indische welt komprimiert, es ist alles da, es passiert soviel, soviel leben, so viele gesichter, so viele aspekte, immer sich ändernd und niemals reglos. es gibt einen schuhmacher, der sich mehr oder weniger aus müll eine kleine höhle gebaut hat, und vor ihm liegen ein paar werkzeuge und eine menge schuhe. neben ihm ein chaishop, eine gasflasche, eine kiste, auf der der kocher steht, darauf topf, dann hat der mann, der auf einem wackligen hocker sitzt vielleicht zehn gläser, einen eimer, in dem er wasser ranholt und ein paar gefässe mit den zutaten. dem chaishop gegenüber sind zwei offices, die pakete verpacken und weltweit verschicken. viele, die mit indischem zeugs handeln, kaufen ihre sachen in delhi ein und bringen sie in büros wie diese, wo gewogen, verhandelt und verpackt wird. auf der strasse ist ein grosses bündel stroh und holzplanken, für den schifftransport werden hier vorm laden auf der strasse sehr stabile kisten gezimmert. wenn die ladung gross ist, wird der verkehr der quer über den kleinen platz sich schiebt, gestört, und es wird laut vom vielen hupen.
es gibt eine total zerfallene wellblechhütte mit plastikplanendach, vor der lustigerweise ein neues schild angelehnt steht, darauf steht: property dealer, sale, purchase and rent (eigentumsvermittler, verkauf, kauf und vermietung)
über den tag verteilt zu verschiedenen zeiten kommen kleine mobile läden auf fahrrädern vorbei. einer, der auf einem grossen gepäckträger um die 20 verschraubten gläser transportiert verkauft gewürze. ein obsthändler mit einem tisch auf vier rädern kommt jeden nachmittag vorbei und steht für ein paar stunden an der ecke. es kommen viele touristen vorbei. die meisten bleiben nur kurz in delhi, frisch gelandet bevor sie das land erkunden oder eben am ende kurz vorm rückflug. ich sehe einige komische sachen machen, eindeutig desorientiert und total konfus. diese sind wahrscheinlich gerade angekommen. mir gings ja genauso, als ich das erste mal nach indien kam, wurde ich in bombay gleich fast überfahren.
was mich am meisten fasziniert ist ein grosser innenhof, in den ich hineinschauen kann, dadurch dass ich von so hoch über die den hof umgebene mauer schauen kann. es ist eine mischung aus moschee, islamischer schule, internat für die jungen und auf dem hof ist eine aussenküche. die jungs sind verschiedenen alters, alle in weisser kurta mit kleiner kappe auf dem hinterkopf und sie faszinieren mich. sie wirken wie tänzer in ihren sanften, gewandten bewegungen, sie sind so lebhaft und so motiviert, so energetisch und wach im miteinander sein, im gehorsam den lehrern gegenüber, im helfen beim kochen, im waschen ihrer sachen... wieder eine ganze welt in der welt, und ich bin so neugierig, dass ich bald platze, aber zu schüchtern, am tor anzuklopfen und meine vielen fragen zu stellen. so sitze ich dann im vierten stock roof top cafe, trinke chai und schaue hinunter.
12:05:55 - ulrika -